Über das Werk
Der Silberstift, eine Zeichenmine aus einer Silberlegierung, ist vor allem in der Frühzeit des Zeichnens, im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, verwendet worden. Sein Gebrauch erfordert einigen Aufwand, denn das Papier muss zunächst mit einem Kreidegrund versehen werden, damit die Metallspitze ihre feinen, kostbar wirkenden Linien hinterlassen kann. Der Zeichner des »Mannes mit Falken« hat mit sensiblen, in Tempo und Struktur unterschiedlichen Strichen ein blattfüllendes Bildnis ausgeführt. Der Porträtierte ist uns heute nicht mehr bekannt, er trägt einen teuren Hut aus zwei Pelzsorten, der Jagdfalke auf seiner linken Hand könnte ihn als Angehörigen eines hohen gesellschaftlichen Standes kennzeichnen oder auch das Zähmen von Falken als seinen Beruf angeben. Mit großer Sorgfalt sind die Gesichtszüge ausgeführt; die feinen kurzen Striche des Silberstiftes verschmelzen hier zu Oberflächen, die eine lebendige Wirkung von Haut, Lippen oder Augenbrauen erzeugen. Die besondere Konzentration auf das Gesicht deutet darauf hin, dass die Zeichnung dazu diente, die Physiognomie für ein gemaltes Porträt festzuhalten. Die weitere Ausführung der Zeichnung ist zügig und summarisch, nutzt aber die Möglichkeiten des Silberstiftes, um die Lichtwirkung eines Gemäldes zu erzeugen. Das könnte bedeuten, dass das Blatt einem Auftraggeber als Modell vorgelegt werden sollte. Letztlich entstand ein Kunstwerk von eigener Wirkung, das über Jahrhunderte sorgsam aufbewahrt wurde.
Johann David Passavant, dem auch die Erwerbung der berühmten altniederländischen Gemälde in der Galerie des Städel zu verdanken sind, erkannte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Qualität des Blattes. Er ersteigerte es für wenig Geld in einem Konvolut, in dem es als Werk des Jan van Eyck (um 1390–1441) bezeichnet war, hielt es aber für eine eigenhändige Arbeit von Roger van der Weyden (um 1399–1464). Die heutige Forschung schreibt den »Mann mit Falken« einem bedeutenden Künstler der unmittelbaren Nachfolge Jan van Eycks zu, dem Brügger Maler Petrus Christus.