Über das Werk
Eine ausgewogene bildnerische Ordnung und eine mit Kalkül gewählte, kühle Farbigkeit verleihen der »Komposition« Fernand Légers aus seiner sogenannten »mechanischen« Werkphase (»période mécanique«) der Nachkriegsjahre 1918 bis 1920 ihre eindringliche Geschlossenheit. Überzeugend löst sie ein Gestaltungsprinzip der Kontraste ein, eine aus den Erfahrungen der kubistischen Formzerlegung entwickelte Bildsprache Légers, die dem visuellen Erleben des modernen Menschen entsprechen wollte.
Bereits vor der Zäsur des Ersten Weltkrieges hatte sich der Künstler auf die Verarbeitung der optischen Reize und Erfahrungen der großstädtischen und industriellen Zivilisation konzentriert. Zum Rohmaterial seiner Werke zählten die Typographie der Reklame des Pariser Stadtbildes ebenso wie mechanische Komponenten und architektonische Details. Geradezu puristisch schuf Léger kontrastierende Wechselspiele aus Linien und Flächen, aus runden und rechteckigen Formen, konfrontierte er räumlich mit planimetrisch, und statisch mit dynamisch wirkenden Kräften.
Der hier komponierte Bildraum wird von zahlreichen planen Flächen eingenommen, in Schwarz, in Weiß und in dem zu Teilen dezent gebrochenen, hellen Ocker des Büttenpapiers. Auf den ersten Blick mag er wie ein abstrakt gebautes, regellos dicht gedrängtes Gefüge aus sich überschneidenden, geometrischen Formen wirken. Orientierung bietet die konzentrisch unterteilte, halbe Scheibe mit einer angeschnittenen schwarzen Kreisform im Zentrum, die schräg gestellt auf einem Unterbau Halt findet. Diese objekthafte Flächenfigur beherrscht den Vordergrund des Hochformats und bleibt durch dynamische Linienkomplexe in das Umfeld eingespannt. Einen Weg in den irritierend verschränkten Hintergrund weisen drei schwarze, in sich ruhende Rundformen, während das spielerisch dekorative, linear gestaltete Feld zwischen ihnen an ein gusseisernes Geländer denken lässt und Transparenz suggeriert.
Kontrastierend verbleibt das rechte Drittel des Bildganzen auf einer Ebene. Richtungsweisend betonen dies die beiden untereinander liegenden, gleichschenkligen Dreiecke. Es sind Kompartimente der Lettern »U« und »V« einer Schablonenschrift, die ebenso wie das zuoberst stehende »R« als entlehnte Flächenformen wirken. Die pur belassene, rechte Randzone der Papierfläche ist ebenso unaufdringlich wie augenfällig ein wesentlicher Bestandteil der Komposition.
Mit Blick auf die Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in der Graphischen Sammlung im Städel vor allem durch den deutschen Expressionismus vertreten ist, nimmt diese Zeichnung Légers eine wichtige Gegenposition ein.