Über das Werk
Der Antwerpener Maler, Kupferstecher und Zeichner Jacques de Gheyn ist neben Hendrick Goltzius der wohl bedeutendste niederländische Zeichner der Generation vor Rembrandt. Neben etlichen Stichvorlagen ist er vor allem durch seine von großer Genauigkeit geprägten Naturstudien bekannt geworden. Auf der Rückseite unserer Zeichnung hat der Kupferstecher Cornelis Ploos van Amstel, in dessen weithin berühmter Sammlung sich das Blatt im 18. Jahrhundert befand, notiert, de Gheyn habe hier den Maler und Kunstschriftsteller Karel van Mander (1548–1606) auf dem Totenbett wiedergegeben. Karel van Mander, der auch der »Vasari des Nordens« genannt worden ist, hat mit seinem 1604 veröffentlichten »Schilderboek« die früheste Sammlung von Biographien niederländischer Künstler und damit ein noch heute grundlegendes Werk der Kunsthistoriographie geschaffen.
In zwei Ansichten hat der Zeichner mit der Feder die hageren Gesichtszüge des Verstorbenen festgehalten und die Situation durch ein Kopfkissen und ein am Hals geschnürtes Totenhemd verdeutlicht. Ein wenig in der Art eines Kupferstichs modelliert die Feder mit parallelen, unterschiedlich kräftigen Linien und erzeugt mit großer Sensibilität auch einen Eindruck von Haut. Eine feine Pünktchenstruktur an den Augenlidern und Lippen lässt die linke Studie mehr als Leichnam erscheinen als die rechte. Dass es dem Zeichner um ein möglichst genaues, naturgetreues Erfassen seines Motivs ging, zeigt die auffallende Unregelmäßigkeit der Ohrmuschel, die in beiden Ansichten genau beachtet ist.
Die Überlieferung, wonach wir hier ein Bildnis des eben verstorbenen Karel van Mander haben, ist zwar nicht endgültig gesichert, wird jedoch unterstützt durch die Harfe, die Jacques de Gheyn den beiden Kopfstudien im Nachhinein hinzufügte. Das Instrument, dessen Gegenständlichkeit durch eine feine graue Lavierung noch gesteigert ist, ist so platziert wie man ein Totenkreuz auf die Brust des Verstorbenen legen würde. Die Harfe weist auf die schriftstellerische und dichterische Tätigkeit des Toten hin; sie könnte zudem auf die Sammlung geistlicher Lieder anspielen, die van Mander 1599 unter dem Titel »De gulden harpe« veröffentlichte.