Über das Werk
Wie ein organisch bewegtes Schattenbild agieren menschliche Wesen, simplifizierte Figuren von kleiner und großer Statur, auf engstem Raum unter einem einfachen Gerüst. Gemeinsam scheinen sie sich intensiv um einen in die Höhe gehaltenen, ballenartigen Korpus zu bemühen. Einem Traumbild gleich bleibt die rätselhafte Szene unentschieden und wird in Kenntnis ihres Bildtitels noch bedrückender.
Dieses eindrucksvolle Spätwerk des Schweizer Künstlers Louis Soutter gehört zur Werkgruppe seiner Fingermalereien auf Papier. Sie faszinieren, weil auf ein herkömmliches Werkzeug verzichtet und Tusche oder auch Druckerschwärze unmittelbar mit den Fingern aufgetragen wurde. Mit dieser primitiv anmutenden Gestaltungsweise verstand der Künstler äußerst differenziert umzugehen. Meist bevorzugte er Schwarz und setzte Farbe nur selten ein, so dass seine von Figuren bestimmten Kompositionen wie Silhouetten erscheinen. Neben leichten Fingerspuren, die atmosphärisch wirken, lassen kompakte Flächen ihre schrittweise erfolgte Verdichtung nur noch erahnen.
Die Fingermalereien von spielerisch wirkenden, aber vor allem von ernsten, um Kreuzigung und Tod kreisenden Szenen zählen zu den bekanntesten Werken des Außenseiters. Louis Soutter, unentschieden zwischen der Berufung zum Musiker und zum bildenden Künstler, verarmte aufgrund eines unsteten Lebenswandels. 1923, 52-jährig, wurde er entmündigt und in das Altersasyl von Ballaigues eingewiesen. In der dortigen Isolation, der er immer wieder zu entfliehen suchte, begann er unermüdlich zu zeichnen und entlud so seine jenseits rationalen Bewusstseins wirkende, halluzinatorische Kraft.
Zunächst arbeitete Soutter mit Bleistift und Feder. Unzählige Schulhefte füllte er mit floralen Motiven, phantastischen Stadtarchitekturen und düsteren figürlichen Darstellungen. Er zeichnete Kompositionen bedrohlich wollüstiger Frauengestalten und adaptierte Kunstwerke der Renaissance, deren Figuren er in eigensinniger Weise schraffierend verzerrte und umformte. 1937 schließlich, von einsetzender Sehschwäche begleitet, begann er mit den Fingern zu gestalten und entfaltete über Jahre in immer neuen Variationen das geheimnisvolle Eigenleben seiner visionären, beklemmenden Bildwelten.
Zu Lebzeiten blieb Louis Soutter die Anerkennung seiner im Abseits geschaffenen Kunst versagt. Zwar setzten sich einzelne Zeitgenossen und auch sein Vetter Le Corbusier für ihn ein, doch erst in den sechziger Jahren, mit einem wachsenden Interesse für die künstlerische Arbeit von Außenseitern der Gesellschaft, erfolgten Rezeption und Wertschätzung seines Werkes.