Über das Werk
Für den jungen Malergesellen Albrecht Dürer aus Nürnberg war es eine sein Leben prägende Erfahrung, als er im Herbst des Jahres 1494 nach Venedig kam. Die Handels- und Kunstmetropole in der Lagune öffnete ihm die Augen für die neuen bahnbrechenden Errungenschaften der norditalienischen Kunst. Er begegnete Künstlern, die zugleich Wissenschaftler waren und mit mächtigen Fürsten Umgang pflegten, die Kenntnisse in Anatomie besaßen, nach lebenden Modellen zeichneten und die geometrischen Regeln der Zentralperspektive beherrschten, die antike Texte lasen und Kunstwerke des heidnischen Altertums ohne christliche Vorbehalte studierten.
Diese Erfahrung Italiens ist hinter der heiteren Federzeichnung zu denken, die zwei nebeneinander schreitende Frauen zeigt. Die rechte trägt einen durchsichtigen Schleier und ein weit ausgeschnittenes, unter der Brust gegürtetes klassisches Kleid der neuesten venezianischen Mode, die linke Haube, Mieder, Schürze und Kleid einer zeitgenössischen Nürnberger Hausfrau. Fast scheint es, als persifliere sie mit einem spöttischen Seitenblick die gesetzt auftretende, vielleicht etwas selbstgefällige Venezianerin, die ihre kostbare lange Schleppe über den Arm gelegt hat.
Die schwungvoll und sicher gezeichnete, gleichwohl sorgfältig ausgeführte Federzeichnung steht in keiner Beziehung zu einem Gemälde, doch ist sie mehr als eine einfache Kostümstudie. Indem am Boden mit einigen Schraffuren Raum angegeben wird und die beiden Frauen erkennbar Bezug aufeinander nehmen, entsteht der Eindruck einer beobachteten Szene. In Wirklichkeit aber war es ein Einfall Dürers, der zuerst gezeichneten Venezianerin die agile Nürnbergerin zur Seite zu stellen. Damit begegnen sich in dieser Zeichnung Nürnberg und Venedig, Süddeutschland und Italien, also die zwei Kunstlandschaften, die Dürer prägten und die in Einklang zu bringen, zur Synthese einer neuen Kunst zu verbinden, er sich nach der Erfahrung seiner ersten Italienreise zur Aufgabe machte.