Über das Werk
Sechs Jahre nachdem die Gleichheit von Männern und Frauen gesetzlich in der Weimarer Verfassung verankert und für Frauen der Zutritt zu deutschen Kunstakademien möglich geworden war, begann Hanna Nagel ihr Studium an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe. Wichtige Impulse empfing sie dort von Karl Hubbuch (1894-1979), dessen Zeichenunterricht sie besuchte. Hubbuchs präzise, ungeschönte Darstellungen der Menschen und Gesellschaft prägten Nagels frühes Schaffen maßgeblich. Das zeigt auch die aquarellierte Zeichnung, die dank des Städelschen Museums-Vereins jüngst erworben werden konnte. Vor allem im Umgang mit der Linie und in der Vereinzelung der Figur zeigt sich Hubbuchs Einfluss – ansonsten ist die Zeichnung ganz eigenständig, delikat in der Farbe und einfühlsam, konzentriert im Ausdruck.
Nagel gibt die alte Frau aufrecht sitzend, in strengem Profil, mit schneckenartig gewundenem Dutt – und überraschend dynamischem Pelzkragen, den sie mit schwarzem Farbstift in einzelnen geschwungenen Linien aufs Papier zeichnete. Etwas sonderbar Lebendiges ist diesem dunklen Kragen eigen, etwas Bewegtes, das nicht recht zu der sonst so stillen, beruhigten Komposition passen will. Auch die nur mit wenigen Linien angedeutete Hand, die in symbolhafter Geste eine Blume hält und darin entfernt an Hans Holbein d. J. (bspw. dem Bildnis des Simon George of Cornwall, Inv. 1065, Städel Museum) erinnert, unterläuft letztlich allen Verismus. Etwas Surrealistisches schiebt sich in die Komposition, wie es so oft bei Werken der Neuen Sachlichkeit zu beobachten ist.