Über das Werk
Der Amerikaner Cy Twombly ist Zeichner und Maler zugleich. Er arbeitet bevorzugt mit dem Bleistift, mit farbigen Stiften und mit Farbkreiden, die ihm lineares Gestalten ermöglichen. Diese Materialien verwendet er für eigenständige Arbeiten auf Papier, aber auch auf grundierten Leinwänden, so dass viele seiner Gemälde von großem Format an die Qualität von Zeichnungen denken lassen.
Seit den fünfziger Jahren sind Twomblys Zeichnungen durch die für seine Arbeit typischen feinen Graphismen bestimmt. Rhythmisch wiederholte Linienverläufe, Wirbel, dichte Knäuel und Linienbündel, vereinzelte Zahlen und schließlich Wörter provozieren als Kritzeleien, wie mit ungelenker Handschrift und zufällig auf der Fläche verteilt. Hinzu kommen seit den siebziger Jahren collagierte Elemente und jene zitierten Fragmente, die aus inhaltlichen Zusammenhängen herausgelöst sind. Twombly zeichnet keine statisch gesetzten Zeichen, sondern augenblickliche seismographische Spuren eines physischen Gestaltungsvorganges und eines Zeitverlaufes.
Seit 1957 lebt Cy Twombly in Rom. Die mediterrane Welt seines Lebensraumes, ihre Geschichte, Orte und mythologischen Gestalten, die Namen ihrer Dichter und ihre Sprachen, aber auch das Meer wurden bestimmend für sein Werk. Diese 1971 entstandene Zeichnung, deren Gestaltung sichtbarer als in früheren Werken der bildnerischen Reflexion des Künstlers folgt, beschreibt die Illusion von Nähe und Ferne, handelt von Raum und Zeit. Twombly setzte die zeichnerischen Mittel sparsam ein, indem er zunächst mit zwei blauen Kreiden und weichem Bleistift über die gesamte Breite des Hochformats horizontal verlaufende Linien zeichnete. Während diese durch eine Übermalung des Blattes mit hellbeigefarbener Gouache nur noch durchscheinen, sind danach hinzugefügte aufgrund ihrer Stofflichkeit umso präsenter. Die Anordnung dieser die Fläche unterteilenden Linien erfolgt in unregelmäßigen Abständen. Sie beginnt, zurückgenommen, nahe des unteren Bildrandes und setzt sich konzentriert in der oberen Hälfte fort. Die in den Zwischenräumen unruhig aufscheinenden linearen Spuren und vor allem diagonale Verbindungen leiten den Blick nicht nur nach oben, sondern zugleich in die Tiefe eines Bildraumes. Diesen markierte der Künstler durch ein collagierendes Verfahren gleichsam mit einer Horizontlinie seines zeichnerischen Prozesses. Dorthin, wo der nach vorn umgeklappte Zeichenkarton endet und der entstandene Spalt einen realen Schatten wirft, setzte er die Ziffernfolge 13–14–71, die eine konkrete Zeitangabe suggeriert. So vollendete Twombly seine Zeichnung, die in der Betrachtung als ein räumlich und zeitlich zusammenhängendes Kontinuum erfahrbar wird.