Über das Werk
Ein brillantes Beispiel der französischen Porträtkunst des frühen 18. Jahrhunderts ist Hyacinthe Rigauds gezeichnetes Bildnis des Malers Sébastien Bourdon (1616–1671). Rigaud war im späten 17. Jahrhundert mit einem Malstil, der repräsentatives Auftreten und koloristisch sinnliche Wirkung zu verbinden wusste, zum führenden Bildnismaler des französischen Hofes und der gehobenen Gesellschaft aufgestiegen. Sein berühmtes Staatsporträt Ludwigs XIV. (heute im Louvre in Paris) setzte den Standard, an dem sich auch die anderen Höfe des Absolutismus orientierten. Von Rigauds Bildniszeichnungen haben sich, obwohl sie hoch geschätzt waren, nur verhältnismäßig wenige erhalten. Das Städel Museum besitzt eine um so bedeutendere Gruppe von vier ausgezeichneten Blättern, die aus der Sammlung Johann Friedrich Städels stammen und dessen Interesse sowohl an der französischen Zeichnung des 18. Jahrhunderts als auch an Bildnissen dokumentieren. Das herausragende Werk in dieser Gruppe ist das Porträt des Sébastien Bourdon.
Rigaud hat den schon 1671 verstorbenen Maler, der zu den Gründungsmitgliedern der französischen Akademie gehörte und zeitweilig ihr Rektor war, nach einem Ölgemälde dargestellt, das er selbst besaß und 1735 der Akademie übergab. Die Zeichnung, die ausschließlich mit schwarzer und weißer Kreide auf blauem Papier angelegt ist, zeigt einen pittoresken steinernen Fensterrahmen, durch den der Porträtierte den Betrachter anblickt. Bourdon scheint im Begriff, sich der im Hintergrund erkennbaren Staffelei zuzuwenden und dabei kurz zurückzublicken; die üppige Draperie, die ihn umschlingt, erzeugt eine Bewegung nach innen und zieht dabei den Blick des Betrachters ins Bild. Das Handwerkszeug des Malers, Palette, Pinsel, Zeichenmappe, Buch und Papierbogen, sind auf einer steinernen Brüstung vor dem Fenster abgelegt. Virtuos differenziert Rigauds Kreidetechnik stofflich zwischen dem üppigen dunklen Haar, der Samtjacke, der seidig glänzenden Draperie und dem steinernen Rahmen. Trotz dieser Genauigkeit wirkt die Zeichnung im Ganzen souverän und großzügig.
Der Kupferstecher Laurent Cars (1699–1771) schuf nach diesem Werk 1733 einen Kupferstich, ein virtuoses Meisterstück, mit dem er in die Akademie aufgenommen wurde. Die Zeichnung Rigauds dürfte nur unwesentlich früher entstanden sein, wobei ungewiss bleibt, ob der Künstler bei ihrer Ausführung die Übertragung in die Druckgraphik schon im Sinn hatte. Der mehrfache Bezug auf die Akademie könnte dafür allerdings ein Indiz sein.
Über die Erwerbung
Im März 1815 vermachte der Frankfurter Kaufmann und Bankier Johann Friedrich Städel sein gesamtes Vermögen und seine Kunstsammlung der nach ihm zu benennenden Stiftung „Städelsches Kunstinstitut“. Den Bürgern der Stadt widmete er seine Stiftung jedoch ideell: Es möge die Frankfurter Bürgerschaft „zieren und ihr nützlich werden“. Auf diese Weise begründete er als erste Bürger im deutschsprachigen Raum ein öffentliches Kunstmuseum – unser heutiges Städel Museum. Seine Sammlung umfasste bei seinem Tod 476 Gemälde, rund 4.600 Zeichnungen, knapp 10.000 Druckgrafiken und wertvolle Bücher.