Über das Werk
Die eindrucksvolle Kreidestudie eines sitzenden alten Mannes, die schon der Sammlung von Johann Friedrich Städel angehörte, ist eine der wenigen Zeichnungen, die eine vollständige und eigenhändige Signatur von Rembrandt tragen. Es mag sein, daß er sie im Jahr 1633 anbrachte, weil er dieses Blatt verschenken oder verkaufen wollte, denn das Entstehungsdatum der Zeichnung selbst dürfte früher liegen. Um 1630 zeichnete Rembrandt, zu diesem Zeitpunkt ein aufstrebender junger Maler in seiner Geburtsstadt Leiden, mehrere Studien nach einem bärtigen alten Mann, dessen Erscheinung zu derselben Zeit in Gemälden und Druckgraphiken auftaucht. Das Modell dürfte Rembrandt wegen seines ausdrucksstarken Aussehens gereizt haben, das sich für ehrfurchtgebietende Figuren wie Propheten oder Apostel eignete. Die sehr formlose Sitzhaltung der Zeichnung findet sich in einem nur durch eine Reproduktionsgraphik überlieferten frühen Gemälde Rembrandts wieder, welches den trunkenen Lot mit seinen Töchtern zeigt (Genesis 19). Kurz bevor Gott die sündige Stadt Sodom zerstörte, warnte er Lot, und dieser flüchtete mit seiner Familie. Seine Frau drehte sich neugierig nach dem Inferno um und erstarrte zur Salzsäule. Als Lot mit seinen Töchtern in der Einöde alleine war, fürchteten diese, sie würden keine Ehemänner mehr bekommen können. Sie machten ihren Vater betrunken, und in besinnungslosem Zustand zeugte er mit ihnen Kinder.
Die Zeichnung ist mit großer Wahrscheinlichkeit als Studie zu diesem Gemälde entstanden. Rembrandt hat die in einen langen Mantel, Hose und Wams gekleidete Gestalt mit energischen Kreidestrichen angelegt, welche den Lichteinfall, die Materialität der Kleidung und die physische Präsenz des Sitzenden angeben. Diese Wirkung erzeugte er, indem er dunklere, schärfere Linien über hellere, flächig aufgetragene Kreidepassagen legte und beides virtuos ineinander modellierte. Die Haltung der rechten Hand, die eine Trinkschale umklammert, korrigierte er einmal. Ganz anders führte er seinen Stift beim Kopf und auch bei der sensiblen, herabhängenden linken Hand des Greises. Mit großer Zurückhaltung und Feinheit bildete er das vom Licht modellierte Relief von Schädel und Gesicht mit dem halb trübe, halb bestürzt blickenden rechten Auge. Es scheint, als wollte Rembrandt hier den Augenblick nach dem Ereignis erfassen, in dem Lot zu sich kommt und sich langsam bewußt macht, was geschehen ist.
Über die Erwerbung
Im März 1815 vermachte der Frankfurter Kaufmann und Bankier Johann Friedrich Städel sein gesamtes Vermögen und seine Kunstsammlung der nach ihm zu benennenden Stiftung „Städelsches Kunstinstitut“. Den Bürgern der Stadt widmete er seine Stiftung jedoch ideell: Es möge die Frankfurter Bürgerschaft „zieren und ihr nützlich werden“. Auf diese Weise begründete er als erste Bürger im deutschsprachigen Raum ein öffentliches Kunstmuseum – unser heutiges Städel Museum. Seine Sammlung umfasste bei seinem Tod 476 Gemälde, rund 4.600 Zeichnungen, knapp 10.000 Druckgrafiken und wertvolle Bücher.