Über das Werk
Moses ter Borch entstammte einer Künstlerfamilie aus Zwolle in Holland; der bedeutende Genremaler Gerard ter Borch d. J. (1617–1681) war sein älterer Bruder. Schon als Kind wurde er durch seinen Vater und seine Geschwister im Zeichnen unterrichtet. Er starb jung als Marinesoldat bei einem Gefecht im Zweiten Englisch-Holländischen Krieg (1665–1667). Aus dem nicht sehr umfangreichen Werk, das er hinterlassen hat, ragt eine Anzahl von eindringlichen Figurenzeichnungen in roter und schwarzer Kreide heraus, von denen die Graphische Sammlung im Städel Museum mehrere bewahrt. Viele der erhaltenen Blätter dieser Gruppe tragen eine alte Numerierung, die darauf verweist, dass sie ursprünglich ein Konvolut oder ein Skizzenbuch gebildet haben.
Von einem tiefen Augenpunkt aus, der der Figur Monumentalität verleiht, ist die stehende Gestalt eines jungen Mannes in einer leicht seitlichen Ansicht erfasst. Er wendet seinen Kopf und seinen gedankenvollen Blick am Betrachter vorbei in Richtung des einfallenden Lichtes. Dieses ist mit einer weich und diszipliniert modellierenden Kreide so stark hervorgehoben, dass der Eindruck einer nächtlichen, künstlichen Beleuchtung entsteht. Der hohe Stellenwert des Lichts ist durch eine diffuse, auflösende Zeichenweise auf der abgewandten Seite betont; an diesen Stellen scheint die Gestalt nicht nur im Schatten zu verschwinden, sondern sich geradezu aufzulösen.
Die jungen Männer dieser Zeichnungsgruppe, bei denen es sich um Seesoldaten oder Seeleute zu handeln scheint, sind erkennbar »nach dem Leben« erfasst. Gleichwohl mag es sein, dass Moses ter Borch ein so sorgfältig gestaltetes Werk wie den »Stehenden Jüngling« erst in einer Skizze angelegt und später im Atelier ausgeführt hat. Ein einziges Blatt der Zeichnungsgruppe (im Baltimore Museum of Art) trägt ein Datum, es ist im Januar 1660 entstanden. Neben den anderen Blättern wirkt es allerdings in der Lichtbehandlung noch unbeholfen, so dass diese wohl um einige Zeit später entstanden sind. Ter Borchs eindrucksvolle Figurenstudien, die Übungs- oder Präsentationsblätter gewesen sein mögen, verbinden auf eine für die holländische Kunst bezeichnende Weise den Sinn für greifbare Wirklichkeit mit einer nachdenklichen poetischen Stimmung.