Über das Werk
Die Faust-Zeichnungen von Peter Cornelius gehören zu den exemplarischen Beispielen nazarenischer Zeichenkunst. Der Künstler begann den Zyklus 1810 in Frankfurt am Main, zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Dichtung, brachte ihn jedoch erst 1816 in Rom zum Abschluss. In großem Format und in Feder ausgeführt waren die insgesamt zwölf Zeichnungen von vornherein als Stichvorlagen für eine Folge von »Bildern zu Goethe’s Faust« vorgesehen. Die von Ferdinand Ruscheweyh in Kupfer gestochenen Kompositionen erschienen in erster Auflage 1816 bei Johann Friedrich Wenner in Frankfurt am Main. Aus dem Nachlass des Verlegers gelangten die Zeichnungen 1836 in die Sammlung des Städel.
Als Cornelius Ende 1811 in Rom eintraf, wo er sich dem Kreis der Nazarener anschloss, konnte er seinen Kollegen bereits Beispiele seiner Faust-Zeichnungen vorlegen. Darunter auch die fünfte Szene am Ausgang der Kirche. In Hinblick auf den zur Vervielfältigung vorgesehenen Kupferstich ist sie mit grauer Feder in feinster Strichführung sorgfältig bis ins kleinste Detail durchgeführt. Der gepflasterte Platz vor der Architektur einer Kirche, für die das Ulmer Münster das Vorbild abgab, bildet die Kulisse für die den Vordergrund beherrschende Szene. Dem vergeblichen Annäherungsversuch des Faust – »Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm zum Geleit Ihr anzutragen?« – enteilt das tugendhafte Gretchen mit den Worten »Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn«. Deutlich versucht der Künstler, seine Figuren durch ihre exaltierten Bewegungen sprechen zu lassen.
Cornelius bereitete alle Faust-Zeichnungen in kleineren Bleistiftstudien vor und in Modellzeichnungen, die sich auf die Umrisse der Figuren konzentrieren. Die schließlich kleinteilig strukturierte und zeichnerisch modellierende Gestaltung entwickelte er aus der Tradition Altdeutscher Meister, insbesondere aus der Druckgraphik Dürers. Damit führte Cornelius die akademische Formsprache des Klassizismus fort und deutete sie auf eigenständige Weise um. Goethe, der im Frühjahr 1811 in Weimar die ersten Zeichnungen zu sehen bekam, lobte sie vor allem aufgrund ihrer Einfühlung in eine historische, aus damaliger Sicht mittelalterliche Welt.
Im zeichnerischen Stil, im erzählerischen Charakter der Szenen und in seiner moralisierenden Auffassung der Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen unterscheidet sich Cornelius grundlegend von seinem französischen Zeitgenossen Delacroix, der das Werk Goethes wenige Jahre später interpretierte.