Über das Werk
Der »Meister der Worcester-Kreuztragung« trägt seinen Namen nach dem einzigen ihm sicher zuzuschreibenden Gemälde, einer »Kreuztragung« aus der Sammlung Worcester (heute Chicago, Art Institute). Man weiß über ihn wenig; er scheint um 1420/30 im süddeutschen Raum, möglicherweise in Regensburg, gearbeitet zu haben. Gleichwohl war er ein Künstler von innovativer Kraft, dessen Einfluss in nicht wenigen Werken der Zeit und der Region zu erkennen ist.
Dem Meister wird eine kleine Gruppe von Zeichnungen zugerechnet, von denen die meisten als Werkstattarbeiten gelten und wahrscheinlich nur zwei eigenhändig sind. Das Blatt des Städel Museums ist eines davon; auf anrührende Weise zeigt es das Charakteristische, die besondere Gestaltungskraft dieses Künstlers. Zu sehen sind zwei Menschengruppen, die als Bestandteil einer größeren »Kalvarienberg«-Komposition entworfen sind. Links bemühen sich zwei heilige Frauen und der Apostel Johannes um die ohnmächtig niedergesunkene Muttergottes, rechts wenden sich drei Soldaten oder Schergen höhnend und herabsetzend dem am Kreuz hängenden Christus zu, den man sich als Fortsetzung der Komposition denken muss.
Mit unterschiedlich dunklen Pinsellavierungen hat der Künstler die zuvor mit der Feder angelegten Figuren ausgearbeitet. Dabei ist die Gruppe der Trauernden zarter und schlichter gestaltet als die drei Soldaten, die nicht nur mit modischen Zutaten behängt und ausgestattet sind, sondern auch kontrastreicher, körperhafter wirken. Ihren derben Grimassen entsprechen exaltierte Körperhaltungen, die in dem nach hinten gebogenen Kopf mit herausgestreckter Zunge bei der vorderen Figur gipfeln. Mit knappen zeichnerischen Mitteln gelingt es dem Künstler, Trauer und Leid gegen Brutalität und Bosheit zu setzen und damit das Ereignis der Passion in menschlichen Gefühlen zu spiegeln. Die Kunst des Meisters der Worcester-Kreuztragung wurzelt in den stilisierten Formen des »Schönen Stils«, sie durchdringt diesen aber mit einer neuen Hinwendung zur Wirklichkeit.