Über das Werk
In den letzten zwei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts stieg der in Haarlem tätige Zeichner, Kupferstecher und Maler Hendrick Goltzius durch die von ihm geschaffenen und verlegten Druckgraphiken zu einem der einflussreichsten und bekanntesten Künstler Europas auf. Brillante graphische Technik und elaborierte, hochstilisierte Formensprache waren die Kennzeichen und die Grundlage für den internationalen Erfolg des »Haarlemer Manierismus«, dessen Hauptvertreter Goltzius war.
Das »Studienblatt mit vier Händen« ist einerseits als Vorlagenblatt geschaffen worden, das dem Künstler und seinen Mitarbeitern Orientierungshilfe bei der Gestaltung von Händen liefern konnte, die in Bildnissen und Figurendarstellungen neben der Physiognomie die ausdrucksstärksten Elemente sind. Gleichzeitig will es aber auch als ein Virtuosenstück der Zeichenkunst verstanden werden. Goltzius erzeugt hier mit lediglich zwei verschiedenfarbigen Kreidestiften eine fast »überrealistische« Wirkung, bei der die farbige plastische Herausarbeitung, deren anatomische Genauigkeit bis in physische Einzelheiten wie die hervortretenden Adern getrieben ist, durch das Fragmentarische, durch den Kontrast zu den in die abstrakte Papierfläche übergehenden Ärmeln, noch gesteigert wird. Auch die stilisierten, »manieristisch« gezierten Haltungen der Hände überhöhen den Realismus ihrer Wiedergabe.
Seit seiner frühen Kindheit hatte Goltzius durch einen Unfall, bei dem er in glühende Kohlen gestürzt war, verkrüppelte Hände. Seine immer wieder zur Schau gestellte handwerkliche Virtuosität, die man, zum Teil zumindest, als eine Reaktion auf diese Behinderung verstehen kann, trug ihm umso mehr Berühmtheit ein. Die Zeichnung der Graphischen Sammlung im Städel Museum bekommt vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung. Denn die unterste der Hände entspricht den von Goltzius mehrfach angefertigten Federzeichnungen seiner verkrüppelten rechten Hand. Die nach innen gezogenen Finger konnte er nicht strecken. Es scheint also, dass er in unserer Zeichnung seine eigene Hand dargestellt und für ihre Behinderung eine im Bild verwendbare Aufgabe gesucht hat; er fand sie im Durchblättern eines Buches. Das heisst, dass die oberste Hand, die eine eher konventionelle Geste zeigt, seine Rechte ineinem idealen Zustand, ohne Verletzungen, zeigt.