Prud’hons künstlerische Ausbildung vollzog sich außerhalb der damals allgemein üblichen Stationen wie der Pariser Akademie oder der Académie de France in Rom. Von einfacher Herkunft, erhielt er stattdessen seine erste Lehre in der von F. Devosges geleiteten „Ecole de Dessin“ in Dijon. 1780-1783 folgte ein Aufenthalt in Paris, dem sich aufgrund eines Stipendiums der heimatlichen Kunstschule vier Jahre (bis 1788) in Rom anschlossen. Auch dort entzog sich Prud’hon dem bestimmenden Einfluss von J.-L. David und dessen Kreis, um vielmehr Kontakte zu dem Bildhauer Canova und den deutschen Künstlern zu pflegen.
Nach seiner Rückkehr in Paris den dortigen revolutionären Kreisen nahestehend, verdiente Prud’hon zunächst seinen Lebensunterhalt mit Buchillustrationen und Porträtmalereien. Sein einflussreicher Förderer wurde M. Frochot, Präfekt des Départements de la Seine, der ihm größere Aufträge - u.a. Dekorationen für Stadtpalais - und vor allem Zugang zu den sich damals neu gruppierenden gesellschaftlichen Kreisen vermittelte. Napoleon Bonaparte, Joséphine Beauharnais und auch seine zweite Gemahlin, Marie Louise von Österreich, schätzten Prud’hons Kunst und beauftragten ihn immer wieder mit Gemälden oder Entwürfen für Inneneinrichtungen und Festdekorationen.
In einem öffentlichen Wettbewerb 1794 erhielt Prud’hon für die Zeichnung „La Sagesse et la Vérité“ (Inv. Nr. 16337) den ersten Preis und den Auftrag zur Ausführung des großen Deckenbildes (1799). Mit diesem begann eine Reihe von Gemälden mit Darstellungen freier oder auch zeitgenössisch interpretierender Allegorien, denen Prud’hon vor allem seinen kunsthistorischen Platz verdankt. Mit gutem Grund, nicht immer ungeteilten Beifall findend und auch durch den Erhaltungszustand später oft stark beeinträchtigt, stellen diese Gemälde aus heutiger Sicht eine wichtige Gegenposition zur Historienmalerei eines J.-L. David dar. Sie sind Vorboten romantischer Kunstvorstellungen, die E. Delacroix erkannt und beschrieben hat (siehe seinen Artikel in: Revue de deux Mondes, 1. November 1846). Eines der bedeutendsten dieser Gemälde ist „La Justice et la Vengeance divine poursuivant le crime“ 1808.
Für damalige Begriffe neu an Prud’hons Kunst war die Tatsache, dass er seine Themen nicht als konkret, sondern mit dem Mittel einer an Correggio und Leonardo orientierten Sfumato-Malerei gestaltete, die seinen Darstellungen suggestive Qualität und den Charakter einer Figuration aus Phantasie gab.
Dem malerischen Stil und bildnerischen Konzept entsprechen Prud’hons Zeichnungen, mit denen er seine Gemälde vorbereitet oder die er als autonome Arbeiten geschaffen hat. Meist auf farbigem Papier mit schwarzer und weißer Kreide zeichnend, vermeidet Prud’hon Lineaturen und arbeitet stattdessen mit Wischeffekten und dämmrigen Lichtwirkungen die Volumen weich heraus, so dass sie entrückt und gegenwärtig zugleich erscheinen. Mit seiner zeichnerischen Auffassung hat Prud’hon für nachfolgende Künstler wie Fantin-Latour und vor allem O. Redon eine wesentliche Voraussetzung geschaffen.