Über das Werk
Elegante gezeichnete Bildnisse, die sich oft auf Gesichtszüge und Kopf konzentrieren und die weitere Gestalt und Kleidung lediglich andeuten, waren in Kreisen des Adels und des gehobenen Bürgertums Frankreichs im späteren 16. Jahrhundert beliebt und weit verbreitet. Der mit verschiedenfarbigen Kreiden gezeichnete, streng blickende Herr mit gepflegtem Schnurr- und Spitzbart stammt aus diesem Zusammenhang. Der Zeichner hat es verstanden, die individuellen Züge zu erfassen und durch die Kombination von verriebener Farbe und strukturierenden Strichen eine Ahnung von Hautoberfläche und von vollem, sich bauschendem Haar zu geben. Dabei wahrt das Bildnis zugleich eine gewisse diskrete, etwas formelhafte Distanz. Die zeichnerische Technik und der kompositorische Aufbau erzielen die Wirkung von Malerei; es ist davon auszugehen, dass das Blatt nicht der Vorbereitung eines Gemäldes diente, sondern als abgeschlossenes Porträt geschaffen und entsprechend aufbewahrt wurde.
Dieses frühe Beispiel der reichen Tradition der französischen Bildniskunst stammt aus der Zeit der Religionskonflikte in Frankreich, einer Zeit großer Umwälzungen, in der die letzten Valois-Könige schließlich von Heinrich IV. aus dem Haus Bourbon abgelöst wurden. Es wird einer größeren Gruppe ähnlich gezeichneter Blätter zugeordnet, die vor allem in der Bibliothèque Nationale in Paris aufbewahrt werden und als Werke des François Quesnel gelten. Über diesen weiß man nur wenig mehr, als dass er aus einer französischen Künstlerfamilie stammte, in den 1570er Jahren für den französischen Hof tätig war und zu Beginn des 17. Jahrhunderts einen Stadtplan von Paris gezeichnet hat. Insofern muss die Zuschreibung noch ungewiss bleiben. An anderer Stelle wurde als möglicher Autor der betreffenden Zeichnungen auch der etwas ältere Maler Antoine Caron (1521–1599) genannt.