Über das Werk
Mit seinen sogenannten »Drippings«, den auslösenden Bildern des »Action-Painting«, setzte sich der Amerikaner Jackson Pollock 1947 radikal über alle traditionellen Bildvorstellungen und anerkannten Maltechniken hinweg. Seine unkonventionelle Methode eines rhythmisch bewegten Farbauftrags, die eine Unterscheidung von malerischem und zeichnerischem Medium in den Hintergrund treten lässt, betont den unmittelbaren, von Zufall, aber auch von Reflexion getragenen, existentiellen Schaffensprozess.
»Figure« ist eine der frühesten Arbeiten, in denen Pollock dieses neue bildnerische Verfahren in den Bereich der Zeichnung einführte und Farbe von oben auf das flach liegende Papier rinnen und träufeln ließ. Es war eine riskante Gratwanderung des Künstlers zwischen Gegenstandslosigkeit und figurativer Darstellung. Um den Verlauf der zähflüssigen Emailfarbe weitestgehend kontrollieren zu können, musste Pollock zügig arbeiten. Aus der schwarzen Linie, die sich bei jeder verzögerten Bewegung verdichtet, aber auch fadendünn erscheinen kann, wurde durch geschwungene Schlaufen, von Klecksen begleitete Richtungswechsel und durch Windungen, die Volumen suggerieren, ein organisch wirkendes Gebilde. Fast schwerelos, aber mit beachtlicher Präsenz erobert die bewegte Figuration auf der weiß belassenen Fläche des Papiers ihren unendlichen Raum.
Es ist bekannt, dass sich im Atelier Pollocks eine Drahtskulptur von Alexander Calder (1898–1976) befand. Diese Figur in ihrer raumgreifenden Wirkung mag inspirierend gewirkt haben, doch weist die Zeichnung vor allem auf den kontinuierlichen Stellenwert der figürlichen Gestalt im bildnerischen Konzept des Künstlers hin. In vielen seiner »Drippings« hat Pollock die menschliche Figur, ein zentrales Thema seines Frühwerks, unter zahllosen Farbschichten verschwinden lassen oder kaum erkennbar aufgetragen. 1948 beginnt er, aus »Drippings« figürliche Silhouetten herauszuschneiden. Ein entsprechend freistehender Malgrund entstand durch das Herauslösen einer Fläche, die dem groben Umriss der gezeichneten »Figure« entspricht (Untitled, Cut-Out, 1948–1950, Ohara Museum of Art, Kurashiki). Diese farbig bewegte Dripping-Gestalt wiederum collagierte er in eine kontrastierende Zeichnung (Untitled, Cut-Out Figure, 1948, Privatsammlung).
Aktuelle Anregungen auf diesem Weg, eine archetypische Figur wieder sichtbar in die Gestaltung einzubeziehen, mögen ihm die Scherenschnitte von Henri Matisse gegeben haben, aber auch die frontal in die Fläche projizierten Figuren von Jean Dubuffet. Das Werk beider Franzosen war Ende der 40er Jahre in New York präsent und besonders für die Entwicklung der amerikanischen Kunst von nachhaltiger Wirkung.