Über das Werk
Das Renommee der Holbein-Werkstatt ging weit über Augsburg hinaus. Dies bezeugen zahlreiche Aufträge auswärtiger Kunden, darunter die Ordensniederlassung der Dominikaner in Frankfurt. Für sie schuf der Künstler unter Mitarbeit seiner damaligen Gesellen die Flügelbilder und den bemalten Altarsockel, die Predella, des 1501 vollendeten Hochaltars. Zusammen mit einem spezialisierten Kistenmacher und einem Bildschnitzer, die beide nicht namentlich bekannt sind, lieferte Holbein ein Altarretabel, von dem nur die Mehrzahl der gemalten Flügelbilder erhalten geblieben ist.
Holbeins Dominikaneraltar ist mit seinem Passions- und Marienzyklus nicht nur eine ausführliche Bebilderung der Heilsgeschichte. Er stellt darüber hinaus ein eindrückliches Zeugnis der aggressiven Bildpropaganda der Frankfurter Dominikaner dar: Mit den Passionsdarstellungen richtete sich der Konvent gegen die Juden, die im Ghetto in unmittelbarer Nähe lebten. Mit dem „Dominikaner-Stammbaum“ wurde aber auch gegen die konkurrierenden christlichen Ordensgemeinschaften in Frankfurt agitiert.
Im geschlossenen Zustand, d. h. unter der Woche, war die Gegenüberstellung der Vorfahren Jesu im Bildschema der „Wurzel Jesse“ kombiniert mit dem „Stammbaum“ der Dominikaner-Heiligen zu sehen. Nach der Öffnung des äußeren Flügelpaares zeigte sich sonntags die Folge der Passionsszenen vom Verrat Jesu bis zu seiner Auferstehung. Nur an den höchsten kirchlichen Feiertagen wurde nach der Öffnung auch des inneren Flügelpaars der Skulpturenschrein enthüllt, der von (nur teilweise in den Museen in Basel und Hamburg erhaltenen) gemalten Marienszenen flankiert war. Das Bildprogramm des schon im 18. Jahrhundert zerstörten Altarschreins ist nicht überliefert. Möglicherweise war die Himmelfahrt Mariens und ihre Krönung zur Himmelskönigin dargestellt. Ständig zu sehen war unterhalb des Altarschreins die Predella mit dem prominent platzierten Letzten Abendmahl. Ebenfalls permanent sichtbar war schließlich die Kreuzigung Christi. Sie muss im heute gleichfalls verlorenen „Gesprenge“, dem architektonisch gestalteten Aufsatz des Altarwerks, als Skulptur enthalten gewesen sein.
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Eine Passionsfolge ohne Kreuzigung?
Unter den Gemälden, die Holbein und seine Werkstattmitarbeiter für den Dominikaneraltar schufen, fehlt auffälliger Weise ausgerechnet die Kreuzigung Christi. Grund hierfür ist der Verlust des gesamten Skulpturenschmucks des Altarwerks. Die Kreuzigung befand sich aber nicht etwa in dem nur an den höchsten kirchlichen Feiertagen sichtbaren Altarschrein (hier war eine Marienszene, mutmaßlich Himmelfahrt und Krönung der Gottesmutter, zu sehen), sondern mittig im plastischen Altaraufsatz, dem „Gesprenge“. Sie war damit ebenso wie die Predella unter dem Schrein immer zu sehen und bildete mit dem zentralen Predellenbild des Letzten Abendmahls eine vertikale Bedeutungsachse, die auf den liturgischen Vollzug der Abendmahlsfeier am Hochaltar der Dominikanerkirche verwies.