Über das Werk
Bevor Menschen auf seinen Fotografien erschienen sind, zielte die Kamera von Thomas Struth auf Fassaden und in leere Straßen. Langsam stellten sich Passanten ein. Struths Lichtbildnerei begann 1976, als der Künstlerlehrling das Studium der malerisch zu ergründenden Fläche bei Gerhard Richter abbrach, um in der Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie zu üben, wie man nach wie vor mit den Augen eines Malers den realen Bestand fotografiert. Frühmorgens blickte er während seines New Yorker Stipendienjahres in die unbevölkerten Gebäudeschluchten von Big Apple. Es folgten die Wohnhausketten von Paris, pfahlbautenähnliche Hochhäuser (Totems), historische Stadtviertel – und dann allmählich die belebte Sicht auf Straßen und Plätze. Als Struth sie verließ, um ins Innere der Häuser vorzudringen und dort Familien der gehobenen Gesellschaft in selbst gewählten Positionen aufzunehmen, entstand parallel dazu in den großen Museen die berühmte Serie der Publikumsbeobachtungen. Struths Kamera nähert sich dort den Besuchern wie diese den Gemälden: mit Interesse und Faszination, aber auch mit Gleichmut und Befremdung, mit Erschöpfung und Selbstvergessenheit. Der Porträtist bleibt auf Distanz.